Unglückszahlen können auch Glück bringen"Maaamiiii!"
Adriens Stimme hallte durch das ganze Haus und wurde begleitet von Rustys wildem Gekläffe. "Sei still, du weckst sonst noch die Gäste!", hörte ich Louis in einem wesentlich ruhigeren Ton sagen. "Aber Mami muss aufstehen und sich fertigmachen, und sich noch um Uriel kümmern, sonst kommen sie zu spät!", beklagte sich der Kleine. "Du weisst doch, dass sie eine unverbesserliche Langschläferin ist."
Die Beiden konnten ja nicht ahnen, dass ich schon seit Stunden auf den Beinen war. Ich hatte vor Aufregung nicht mehr schlafen können. Mein Friesenhengst Uriel hatte schon einige Körungen hinter sich; ich hingegen war zum ersten Mal mit dabei und hatte das Gefühl, nervöser zu sein als das Pferd. Ich wollte gar nicht wissen, wie es Louis ging...er sollte Uriel führen, und obwohl er die Sache eigentlich ganz ruhig anging, wusste ich, dass er sich eine schlechte Platzierung sehr zu Herzen nehmen würde. Ich verliess das Schlafzimmer und machte mich auf den Weg in die Küche, wo ich mir ein leichtes Frühstück gönnte. Dann machte ich mich auf den Weg zu Uriels Box und sah einen kleinen roten Käfer Cabrio auf unserem Gelände stehen. Offensichtlich war Mélanie, eine unserer Nachbarinnen, die mich im Café vertreten sollte, schon da.
Ich betrat die Stallgasse und wurde von einem sanften Wiehern aus grossen, schwarzen Nüstern begrüsst. Uriel war ein Macho sondergleichen; wenn irgendwo interessante Stuten in der Nähe waren oder Leute, die ihn beobachteten, plusterte er sich immer extra auf. Anderen Hengsten gegenüber war er anfangs misstrauisch, aber selten aggressiv. Er konnte aber so sanft sein wie ein Engel, und genauso sah er mich nun an. "Na Grosser?" sagte ich und streichelte ihm den Kopf, worauf er mich anstupste. "Jetzt wirst du hübsch gemacht." Zuerst fütterte ich ihn, und dann führte ich ihn vor den Stall und band ihn an, um ihn zu striegeln und mich um seine Mähne zu kümmern. Ich hatte schon öfters Friesen bei Körungen gesehen und festgestellt, dass ihre Mähnen nur selten geflochten waren; meistens wurde sie offen gezeigt. Ich entschied mich jedoch für einen grossen, lockeren Zopf, der die Mähne etwas in Schach hielt, ohne zuviel von ihrer Schönheit zu verstecken. Während ich mich um Uriel kümmerte, kamen meine Jungs in den Stall, wahrscheinlich um zu sehen, was sie machen sollten, damit ich doch nicht zu spät komme. Louis blieb abrupt stehen, sah mich mit grossen Augen an und meinte: "Wie - du bist schon wach?" Ich musste schmunzeln. "Ja, ich bin schon wach", antwortete ich "und du kannst mir gleich helfen, die Box auszumisten, und die box von Petz muss auch noch saubergemacht werden." Nicht weit von mir stand meine Liebste und polierte Samson's Pride, einen unserer Ardenner, auf Hochglanz. Er sollte an der Kaltbluthengstkörung teilnehmen. Adrien nahm tief Luft. "Sag mal, Mami", fragte er mich, "passen Petz und Uri überhaupt in einen Hänger?" Uriel schnaubte energisch und stampfte auf. Er konnte es überhaupt nicht leiden, wenn man ihn Uri nannte. Ich hingegen musste lachen. "Natürlich passen die Beide da rein! Unser Petz ist zwar ein Wuchtbrummer, aber sooo dichk ist Uriel jetzt nun auch wieder nicht. Wenn ihr fertig seid, könnt ihr eich ja schonmal ins Auto setzen, wir verladen sie dann noch." Wir hatten das Glück, dass sowohl Petz als auch Uriel leicht zu verladen waren und wir sie somit problemlos in den Hänger bekamen.
Wir machten uns also auf den Weg nach Avignon und waren sehr gut in der Zeit, bis wir Kilometer vor Fahrtziel ein Warnschild mit der Aufschrit "Embouteillage" sahen. "Verflucht", sagte meine Liebste. "Was ist denn?", wollte Adrien wissen. "Da kommt ein Stau", meinte Louis entnervt.Wir schlichen also über die autobahn und wurden qalle immer nervöser. "Was ist, wenn wir zu spät kommen?", fragte der Kleine. "Wir - werden - nicht - zu -spät - kommen", antwortete Louis mit Nachdruck. es war offensichtlich, dass er am Rand der Verzweiflung stand. "Ja, aber-" "Lass gut sein, Adrien", meinte ich. "Ausserdem hilft positiv denken immer. Und jetzt hör auf, Louis nervös zu machen." "Ich bin nicht nervös, Mutter", entgegenete Louis. Meine Liebste und ich sahen uns an. Wenn Louis "Mutter" sagte, dannn war Hopfen und Malz verloren.
Das Wunder geschah dennoch, und der Stau löste sich auf, so dass wir doch noch rechtzeitig ankamen. Wir luden unsere Pferde aus, und ich ging mich zusammen mit Louis anmelden. Wir bekamen unsere Startzeit und unsere Startnummer. als Louis sie sah , schluckte er. "Was ist?", fragte ich. "Startnummer ..." murmelte er. "Ja und?" gab ich zurück. "Ich dachte, du seist nich abergläubisch?" "Bin ich auch nicht!", meinte er aufgebracht. Ich ging zurück zu Uriel, striegelte ihn noch einmal, kontrollierte seinen Zopf und verteilte noch etwas Fett auf seinen Hufen. Uriel hatte bereits gemerkt, dass die Leute hier waren, um sich die Pferde anzusehen, also richtete er sich auf und begann, herumzupiaffieren. Ich musste wieder lachen. "Brauchst hier keinen auf dicke Hose zu machen, Uriel, du sollst nur in verschiedenen Gangarten gehen!" Er hörte auf zu piaffieren und sah mich irritiert an. "Die Leute sollen nicht sehen, wie klasse du aussiehst, wenn du die Piaffe machst, sondern wie schön du bist, wenn du 'normale' Dinge tust." Der Hengst sah mich weiter an, dann blieb er ruhig stehen. Louis betrachtete den Friesen und meinte: "Also manchmal finde ich ihn gruslig, wenn er so tut, als würde er dich ganz genau verstehen...". Ich lächelte. "Er versteht mich ganz genau. Das hat deine Mutter uns Beiden beigebracht - sich genau zu verstehen." "Und...wer hat es Mum beigebracht?" - "Frag sie bei Gelegenheit doch mal selber danach. Du bist gleich dran", meinte ich. Ich wollte es ihm nicht sagen, da ich ganz genau wusste, dass er sich sonst nicht mehr konzentrieren konnte. Es war nicht das erste Mal, dass Louis ein Pferd vorführte, aber er sollte seine Sache doch gut machen.
Dann dröhnte es aus den Lautsprecher: "Nächster Teilnehmer in der Kategorie Friese: Uriel d'Endymion, von Luzifer le Saint, aus der Pucelle d'Automne. Achtjährig. Bestitzer: Rima xxx. Vorgeführt von Louis xxx." Louis und Uriel setzten sich in Bewegung. Mein Herz klopfte wie verrückt. Louis machte seine Sache perfekt, aber Uriel konnte überaus eigenwillig sein, und ging oft mit etwas zuviel Elan ans Werk. Ich hoffte, dass er sich mässigen würde. Zu meiner Überraschung sah der Schritt aus, wie aus dem Lehrbuch, und der Trab war fliessend und federnd, nicht zu schwungvoll, aber auch nicht zu plump. Im Stand präsentierte er sich in seiner vollen Pracht, ohne sich zu sehr aufzudrängen. Ich war so stolz auf meine Jungs - auf meinen Vierbeiner und auf meinen Zweibeiner. Auch die Richter schienen von meinem Hengst überzeugt zu sein. Allerdings hatte er gute Konkurrenz, und ich rechnete zwar mit einer hohen Wertung, jedoch nicht mit einem Podiumsplatz.
Louis kammit Uriel zu mlir herüber, und ich umarmte meinen Sohn. Dann hielt ich Uriel ein Leckerli hin, dass er genüsslich aufstaubsaugte, und legte die arme um seinen Hals. Er schnaubte leise und fing an, an meinem Pferdeschwanz zu knabbern. "Lass das", sagte ich und schob seine Nüstern davon. Dann warteten wir auf die Verkündung des Endergebnisses. Endlich hörten wir es aus den Lautsprechern: "Dritter Platz in der Kategorie Friesenpferde belegt: die Startnummer 4 Swaate Diamant von Peer Klaasen. Der Zweite Platz geht an die Startnummer 13 Uriel d'Endymion von Rima..."
Wir trauten unseren Ohren nicht. Uriel hatte den Zweiten Platz gemacht! Das war weitaus besser, als ich erwartet hatte. In dem Moment kam Adrien gelaufen und rief: "Und, Wievielter ist Uri-...ich meine, Uriel eworden?" "Zweiter", sagte ich stolz. "Nicht Erster?", meinte er und schmollte. "Zweiter ist doch auch super", entgegenete ich, und wie zum Beweis hielt Uriel ihm seinen Kopf mit der am Halfter befestigten blauen Schleife hin, auf der eine silberne 2 glänzte. "Du, Mami...die hängen wir aber besser nicht an die Boxentür, sonst frisst Uriel sie noch auf!" Wir mussten alle lachen.
Nachdem auh die Kaltblutkörung gelaufen war, verluden wir unsere Pferde wieder in den Hänger und fuhren nach Hause, wo wir unsere zwei Grossen versorgten und sie dann auf die Weide führten. Als Novalis Uriel sah, wieherte er laut und kam auf Uriel zugetrottet. Die Beiden verstanden sich recht gut. Wir gingen noch mot unseren Hunden Gassi, kümmerten uns um die restlichen Pferde und legten uns erstaunlich früh schlafen. Wir waren alle müde und glücklich. Uriels Schleife legte ich vorerst auf meinen Nachttisch; vielleicht fand ich ja ein Plätzchen an der Boxentür, an das er nicht so leicht rankam...
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